Galeriebrief Juni 2015

Xianwei Zhu

Wer kennt schon den Hegau…

…diese einmalige vor mehr als 10 Millionen Jahren entstandene Vulkankegellandschaft in unmittelbarer Bodenseenähe… es sind die Geologen, Ornithologen, Mineralogen, Botaniker, Historiker, Militärtheoretiker sowie naturverbundene Wanderer, leidenschaftliche Radfahrer, nicht zuletzt die Önologen und zwischenzeitlich wir, die wir uns hier niedergelassen haben am Fuße des Hohentwiels neben dem Flussbett der Aach, in Singen dessen Wahrzeichen seit 1100 Jahren dieser 686 m hohe Berg mit seiner Festungsanlage ist. Nicht zu vergessen mit Deutschlands höchstem Weinanbau. Ja – und diese außergewöhnliche Landschaft kennt seit kurzem auch der chinesische Künstler Xianwei Zhu. Der Blick auf unseren Hausberg, den Hohentwiel und dessen diesjährige 1100 Jahrfeier faszinierten Xianwei Zhu derart, dass er sich zum Arbeiten für kurze Zeit hier niederließ Bezüge, Gegensätze zwischen dem mächtigsten Hegauberg und seinem südchinesischen Heimatberg HanShan „Kalter Berg“ inspirierten ihn, denn die Geschichte beider Berge ist zur ähnlichen Zeit dokumentiert, ins Bewußtsein gerückt.

Was ist Sehen heute mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund? Xianwei Zhu setzt Ost und West in einen Dialog mit überlappendem Blick auf die westliche Romantik und die östliche Philosophie der „Leere“.

Dort der „kalte Berg“, nur Natur - zwecklos - Felsen, Höhlen, Wolken, Vögel verbunden mit dem Zen-Buddhismus des Dichters HanShan, genannt nach Eben jenem Berg. Dieser Einsiedler des 9. Jahrhunderts war prägend für die Suche nach dem ganz individuellen Weg, nach Kontemplation. Nicht nur chinesische und japanische Dichter und Maler fanden bei ihm ihre Inspiration. Er beflügelte auch die Beatgeneration des Westens im 20ten Jahrhundert, wie Kerouac oder Ginsberg. Aufschlussreich nachzulesen in Stephan Schuhmachers Über-setzung und Kommentare in „Gedichte vom Kalten Berg.

Hier der „hohe Fels“ (kelt. Twiel) mit seiner Festung aus dem 9. Jahrhundert. Kloster, europäisches Machtzentrum, Verteidungsanlage auf mehr als neun Hektar, die im Jahr 1800 auf Anweisung von Napoleon zerstört wurde und heute als mächtigste deutsche Burgruine die Hegaulandschaft dominiert. Eine Ruine, die eine besondere Schönheit entfaltet, eine besondere skulpturale Anmut, die vielleicht gerade daher rührt, dass sie (anders als die ehemaligen Gebäude) zwecklos ist.

„Die Essenz des Dichters Hanshan, die Suche nach dem eigenen Selbst unter immer anderen Bedingungen, sehe ich bei beispielweise auch in der westlichen Landschaftsmalerei der Romantik (Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge siehest dein Bild… Caspar David Friedrich). Mich interessiert ein Dialog zwischen chinesischer und westlicher Landschaftsmalerei, sowohl in der Philosophie als auch in der Technik. Vielleicht war deshalb das Kennenlernen, das Erwandern des Hohentwiels, der Hegauberge in der Folge von Hanshan die Her-ausforderung, die mich begeistert hat und der ich mich stellen mußte. 

Bei beiden Bergen beeindruckt und ist unverändert die Stärke, die Natur, die Nebel, die Wolken - die zeitlos sind, seit mehr als tausend Jahren. Heute scheint die Verbindung zwischen Menschen durch Smartphones, durch Internet mit Facebook und den vielen „Freunden“ so nah und intensiv wie nie zuvor. …aber sind wir uns allen, uns selbst wirklich näher im Vergleich zu dem Einsiedler HanShan? Und was fördert die Nähe? Unter poetischen Wolken wandern wir zu einer Utopie – so der Titel meiner Ausstellung“ erklärt der Künstler Xianwei Zhu.

Ausstellung Xianwei Zhu – „Bewölkte Utopie“ – Hohentwiel versus Hanshan
bis 4. Oktober 2015
Eröffnung Samstag, 4. Juli um 17 Uhr